Montagnachmittag im Return Sportpark in Rheydt. Mark Borsch geht durch das Bistro, die Sporttasche geschultert, der Blick entspannt: Feierabend. Eben noch saß der 37-Jährige im Büro, als Sachbearbeiter im Leitungsstab des Polizeipräsidiums Mönchengladbach. Er bestellt sich einen Cappuccino und ein Glas Wasser. Auf der Theke liegt das Kicker-Sportmagazin, auf Seite 40 der Spielbericht des Fußball-Bundesligaspiels VfB Stuttgart gegen Wolfsburg. Endstand 1:2, „ein letztlich verdienter Sieg“, urteilt das Fachblatt. Mark Borsch war ebenfalls an diesem Tag im Stadion. Nicht als Fan – sondern als Schiedsrichterassistent an der Linie. Deswegen ist er heute hier. „Zwei Tage nach der Partie steht heute Regeneration auf dem Plan“, sagt er. Gemeinsam mit Hauptschiedsrichter Dr. Felix Brych und seinem Assistentenkollegen Stefan Lupp bildet der Mönchengladbacher das wohl beste Schiedsrichtergespann Deutschlands. In wenigen Tagen packt das Trio die Tasche und fliegt zur FIFA Weltmeisterschaft in Brasilien. Die Vorbereitung auf das Weltturnier absolviert er hauptsächlich hier in dem modernen Sportclub an der Breite Straße. Den Cappuccino bestellen wir ebenfalls und nutzen die Chance, einmal nachzufragen:
Wie ist das eigentlich, wenn man davon erfährt, dass man mit zur Weltmeisterschaft darf?
Das ist ein Moment der Freude und des Glücks, das kann  man sich doch vorstellen. Als wir Mitte Januar erfahren haben, dass wir als deutsches Schiedsrichtergespann nominiert sind, hat sich etwas erfüllt, worauf wir jahrelang hinaus gearbeitet haben. Gleichzeitig war die Nominierung aber auch ein Ansporn, das halbe Jahr bis zum Turnier absolut konzentriert zu arbeiten und bis zum Turnierbeginn den nötigen Fitnesszustand zu halten.
Gibt es Vorgaben oder Trainingspläne, die Sie bekommen und die Sie im Vorfeld abzuarbeiten haben?
Ja, wir werden da vom Welt-Fußballverband, der FIFA, betreut. Wie die Spieler auch haben wir einen wöchentlichen Trainingsplan, in dem Ausdauer- oder Sprinteinheiten, Regeneration und Kraft- oder Stabilisationsübungen stehen. Einiges davon kann ich hier im Return Sportpark erledigen, anderes im Grenzlandstadion. Ansonsten stehen unter anderem auch physiotherapeutische Behandlungen, regelmäßige Arztbesuche und das tägliche Messen von Pulsdaten und Herzfrequenz auf dem Programm.
Müssen Sie sich auch auf die klimatischen Bedingungen in Brasilien vorbereiten? Mönchengladbach ist nicht Rio …
Wir reisen schon zwei Wochen vor Turnierbeginn nach Brasilien, um uns zu akklimatisieren und an einem letzten Trainingslager teilzunehmen. Zudem waren wir ja bereits im vergangenen Sommer dort, wir haben beim Confederations Cup gepfiffen und wissen, was auf uns zukommt. Natürlich waren viele weitere Vorbereitungen in den letzten zwei Jahren zu treffen, wie zum Beispiel zahlreiche Schiedsrichter-Lehrgänge in der Schweiz oder diverse Impfungen. Aber das alles macht man natürlich sehr gerne.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an die WM denken?
Da gibt es einiges. Erst einmal bin ich überhaupt froh, beim größten sportlichen Ereignis der Welt dabei sein zu dürfen.  Ich freue mich darauf, wieder nach Brasilien reisen zu können. Ich habe dieses Land im vergangenen Jahr als sehr fußballbegeistert kennengelernt und bin gespannt auf die WM-Atmosphäre. Und ich freue mich darauf, meine internationalen Schiedsrichter-Kollegen wiederzusehen. Alle Schiedsrichter sind zentral in einem Hotel in Rio de Janeiro untergebracht, von dort geht es dann zu den jeweiligen Spielen. Und es ist schön, sich mit Kollegen zum Beispiel aus Japan, Kanada oder Neuseeland auszutauschen.
Sie sind verheiratet und haben einen zweijährigen Sohn. Ist die Familie mit dabei?
Selbstverständlich wird es mir nicht leicht fallen, eine so lange Zeit auf meine Familie zu verzichten, aber das geht natürlich nicht! Wir fliegen ja genau wie die Nationalmannschaften nicht dorthin, um an der Copacabana Caipirinha zu trinken und Urlaub zu machen. Wir fliegen da- hin, weil es unser Job ist. Genau wie die Mannschaften, die dort sind, trainieren wir jeden Tag und haben Vor- und Nachbesprechungen der Spiele.
Wie viele Einsätze haben Sie bei der WM?
Da gibt es keine garantierte Zahl. Ich hoffe natürlich, dass es mindestens ein Spiel sein wird (lacht). Alles andere ergibt sich, das kann man nicht beeinflussen. Massimo Busacca, der die FIFA-Schiedsrichterabteilung leitet, setzt die Schiedsrichter der Spiele nach Rücksprache mit der FIFA-Spitze an. Dabei spielen natürlich regionale Gesichtspunkte eine Rolle: Wer spielt da gegen wen? Oder natürlich die Schiedsrichterleistungen in den vorherigen Spielen.
Haben Sie eigentlich selbst Fußball gespielt?
Ja, Fußball und Tennis in meiner Jugend. Ich hatte aber zwei schwere Verletzungen: Das Sprunggelenk war gebrochen, außerdem hatte ich eine Handverletzung, wegen der ich lange Zeit nicht trainieren konnte. Ich war 17 Jahre alt und habe mir also ein neues Hobby gesucht. Bei meinem Verein Grün-Weiß Holt habe ich gehört, dass im Fußballkreis Schiedsrichter gesucht werden, und ich fand, dass das eine gute Chance war, dem aktiven Fußball verbunden zu bleiben – wenn auch in anderer Weise.
Und dann ging es tief runter in die Kreisliga …
Natürlich, da geht es los. Ich durfte aber recht schnell höhere Klassen pfeifen. Aber: Ohne Fleiß kein Preis. Ich habe viel trainiert und jede Menge Lehrgänge besucht. Ich habe mir immer neue Zwischenziele gesetzt: Erstmals in der Landesliga pfeifen, mit eigenem Linienrichtergespann, erstmals in der Oberliga und so weiter.
Bis Sie irgendwann selbst als Schiedsrichter in der Regionalliga pfeifen durften, damals immerhin Deutschlands dritthöchste Spielklasse mit Partien vor zum Teil mehr als 10.000 Zuschauern. Warum sind Sie dann zur Seitenlinie gewechselt und haben sich als Linienrichter, oder wie es korrekt heißt, als Schiedsrichter-Assistent spezialisiert?
Damit ich zur WM kann (lacht)! Man muss einfach erkennen, wo die eigenen Stärken liegen. Ich konnte einige Zeit zweigleisig fahren, konnte als Assistent in höheren Ligen arbeiten als als Hauptschiedsrichter. Ich finde, dass wir hier in Deutschland ein gutes System haben. Später habe ich mich spezialisiert. Und rückblickend betrachtet habe ich damit wohl alles richtig gemacht. Ich war unter anderem bei der U21-EM, den Olympischen Spielen, dem Confederations Cup und dem Halbfinale der Champions League. Dazu kommen jede Menge weiterer Spiele in der Bundesliga und dem Europapokal. Und nun die WM. Das hätte ich als Hauptschiedsrichter niemals erreicht.
Seit 2008/09 sind Sie Teil im Gespann mit Hauptschiedsrichter Dr. Felix Brych, der andere Assistent ist Stefan Lupp. Absprachen, blindes Verständnis und Vertrauen scheinen in so einem Team unabdingbar. Unternehmen Sie auch außerhalb des Platzes etwas?
Natürlich ist es gut, wenn man häufiger zusammen ist und auch private Kontakte pflegt. Das tun wir auch so gut es geht. Allerdings ist es bei uns so, dass der jeweils eine vom anderen rund 600 Kilometer entfernt wohnt: Felix in München, Stefan in der Nähe von Berlin und ich eben in Mönchengladbach. Es passt bei uns aber menschlich sehr gut und ist harmonisch. Am Abend vor dem Spiel erzählen wir uns auch private Dinge. Wenn man weiß, wie der andere tickt, sind das die ein, zwei Prozentpunkte, die entscheidend sind.
Über positive Leistungen von Schiedsrichtern wird selten
berichtet. Wann würden Sie im Rückblick von einer für Sie erfolgreichen WM sprechen können?
Das größte Lob bei Schiedsrichtern ist nun einmal, wenn man nach einem Spiel nichts hört. Ich wäre zufrieden, wenn wir nach dem Turnier gesund wieder zurück nach Deutschland kommen, unsere Leistung gebracht haben und der Termin der Heimreise nicht von unseren Leistungen abhängt.