Die Arbeitswoche neigt sich dem Ende entgegen, der Schreibtisch wird am Freitagnachmittag leergearbeitet und die Wetterprognosen verheißen kalten Weißwein mit saftigen Steaks vom Grill. Schnell noch einen Blick auf die Termine der nächsten Woche: Oh nein – bitte nicht! Sind die vier Monate schon wieder verstrichen?
Eintrag für Dienstag, 8.30 Uhr: PZR. Diese Abkürzung steht nicht für ‚Porsche zur Reparatur‘, auch nicht für ‚Pullover zur Reinigung‘. Nein. Diese drei Buchstaben verheißen eine Stunde verkrampfter Einkehr zur professionellen Zahnreinigung. Eine vom Berufsstand der Dentisten kreierte Dienstleistung, deren Existenz zur Zeit Karls des Großen noch niemand hätte erahnen können. Zugegebenermaßen lag die durchschnittliche Lebenserwartung zu dieser Zeit aber auch weit unter 45 Jahren.
Circa 60 lange Minuten mit weit geöffnetem Mund auf dem Rücken liegen –
was für eine Qual! Beim professionellen Entfernen des Zahnsteins (auf dentistendeutsch auch ‚Konkremente‘ genannt) mittels High-Tech-Equipment tut die junge Zahnarzthelferin ihr Bestes, um mir möglichst wenig Unbehagen zu bereiten.
Bange Minuten stehen der gesamten Prozedur jedoch bevor, wenn der große Meister im sportlich-weißen Zahnarztlook zur Inaugenscheinnahme die Knabberleiste mit kaltem Eisen abklopft. „Oh oh, oben links die 27, da machen wir besser mal ’ne Röntgenaufnahme“, klingt für mich wie Heidis: „… für Dich habe ich heute leider kein Foto …“
Ich liege im pastellfarbenen, elektrisch verstellbaren Kunstledersessel und falle auf die vorsätzliche Täuschung der modernen Kunstdrucke rein, die den Patienten suggerieren sollen, nicht beim Zahnarzt zu sein. „Gleich geht‘s los!“ ermuntert mich die junge Dame, der Absaugrüssel schlürft schon.
Augen auf – oder Augen zu? Zähle ich die Gipfel auf der Raufasertapete oder starre ich auf die Wimpern der Helferin mit Plexiglas-Schutzbrille? Wenn mir nur nicht dieses grelle Flutlicht in den Rachen scheinen würde – wie dämlich muss man dabei aussehen?
Mist. Ich muss schon wieder schlucken …
Egal, wie es läuft, nach zehn Minuten ist mein Nacken dort angelangt, wo eben noch mein Becken war. Devise: Tapfer bleiben – durchhalten!
„Bitte noch mal umspülen und wieder hochrutschen, Sie liegen ja gleich auf der Erde!“ Bald kommt hoffentlich mein Lieblingssatz, der nach dem Einsatz des Mini-Bohrhammers fällt: „… na, das Schlimmste haben wir gleich hinter uns.“ 60 Minuten können eine Ewigkeit sein.
Beim Rausgehen bekomme ich dann schon einen Terminvorschlag für die nächste PZR. „Wie wär’s so Ende Oktober, wieder dienstags um 8.30 Uhr?“ Ist ja erst in 16 Wochen! In dieser Zeit gibt’s hoffentlich viele Wochenenden mit kaltem Weißwein und saftigen Steaks vom Grill. Außerdem: Soooo schlimm war’s gar nicht! Ist sowieso alles nur Kopfsache. Klar, was auch sonst!
Überhaupt dient die ganze Sache ja nicht nur der Gesundheit und dem eigenen Wohlbefinden. Neben meinen weißen Zähnen gibt es kaum etwas Wertvolleres als das freudig strahlende Lächeln meiner Frau. Und das war es wert.
Bitte bleiben Sie gesund …
Ihr Gregor Kelzenberg