Christoph Kramer wurde Weltmeister, bevor er überhaupt sein erstes internationales Spiel auf Vereinsebene gemacht hatte. Der Erfolg hat aus ihm keinen anderen Menschen gemacht, aber einen anderen Fußballer.
Es ist kaum zu glauben, dass diese Bilder erst etwas mehr als ein Jahr alt sind. Es war im Sommer 2013 als Christoph Kramer begleitet vom vereinseigenen Internetkanal Fohlen.TV bei Borussia ankam. Ein bisschen schüchtern wirkte er noch, als das Kamera-Team ihn zum medizinischen Check begleitete. Borussia sei ein großer Verein, er hoffe, in dieser Mannschaft Spielzeit zu bekommen und sich weiterzuentwickeln, sagte der damals 22-Jährige bescheiden und ahnte nicht, welchen unglaublichen Verlauf seine Karriere nehmen sollte.
Heute ist Kramer nicht mehr der Junge, der aus der zweiten Liga vom VfL Bochum kam. Zumindest nicht auf dem Platz. Hier hat sein Wort jetzt Gewicht, hier geht er voran. „Er ist jetzt viel lauter auf dem Spielfeld, übernimmt mehr Verantwortung. Er dirigiert viel mehr“, sagt auch sein Trainer Lucien Favre. Denn in nur einem Jahr wurde er vom Zweitliga-Spieler zum Weltmeister. Es mutet fast unwirklich an, wenn man sich bewusst macht, dass er trotz allem heute erst sein drittes internationales Spiel auf Vereinsebene bestreitet.
Kein anderer Spieler
hat von der WM so profitiert wie er
Christoph Kramer hat die übliche Reihenfolge einer Fußballerkarriere ad absurdum geführt, den größten Titel vor allen anderen gewonnen. Sich selbst ist er aber treu geblieben. „Ich bin ja jetzt kein anderer Mensch geworden, nur durch den WM-Titel“, ist so ein Satz, den er wie ein Mantra immer wieder aufsagt.
Vielleicht braucht er das auch, um nicht von der medialen Aufmerksamkeit erschlagen zu werden, die ihm nach seinem Knockout im WM-Finale zuteilwurde. Denn Kramer stand seit dem Abend des 13. Juli in Rio de Janeiro wegen seiner kuriosen Final-Geschichte wohl mehr im Fokus als etwa der Siegtorschütze Mario Götze.
Allein die Spekulationen über einen Wechsel oder eine Rückkehr des von Bayer Leverkusen bis 2015 an Borussia ausgeliehenen Mittelfeldspielers hätten Bücher gefüllt. Sportdirektor Max Eberl hatte das Schlusswort und sagte: „Wir werden bei Christoph alles versuchen.“ Bis es im nächsten Sommer soweit ist, gilt es aber, sich auf den Fußball zu konzentrieren.
Die Zeit schreibt in diesen Tagen sogar vom 23-Jährigen als dem „echtesten Weltmeister“. Kein anderer Spieler habe so von der WM profitiert wie der ‚Sechser‘. Doch ein reiner Abräumer vor der Abwehr ist der gebürtige Solinger schon lange nicht mehr. Vielmehr ist er im System Favre zur unverzichtbaren Schaltzentrale geworden. Er selbst sagt nur: „Ich bin reifer geworden. Und jetzt kann ich auch den Mund aufmachen auf dem Platz.“
Balleroberung und Einleitung des Angriffs, das beginnt oft bei Christoph Kramer. Das schnelle Umschaltspiel, auf das Lucien Favre setzt, hat er verinnerlicht. Das macht ihn auch für die Nationalmannschaft wichtig. Und immerhin das wusste Kramer schon im Sommer 2013. Da sagte er an seinem ersten Tag bei Borussia: „Meine Auffassung des Fußballspiels stimmt mit der Philosophie des Trainers überein.“ Seine Hoffnungen, sich bei Borussia weiterzuentwickeln, wurden weit übertroffen. Am Ende seiner Möglichkeiten ist Laufwunder Kramer, der im Schnitt
13 Kilometer pro Spiel absolviert, aber noch lange nicht.