„Nirgends ist es schöner als zu Hause“, klack, klack, klack … Erinnern Sie sich auch noch an Judy Garland und den Zauberer von Oz? Fast alle Frauen lieben diesen Meilenstein der Filmgeschichte, aber genau wie der kleinen Dorothy geht es auch mir manchmal mit bestimmten Gerichten. Vor allem bei klassisch gut-bürgerlichen Speisen bin ich überzeugt, dass es nirgends so gut schmeckt wie zu Hause.
Dies wird wohl in erster Linie an den Menschen liegen, die am Herd Regie führen. Genau das ist aber auch der Grund, warum ich mich in Restaurants besonders wohlfühle, die ich sofort mit einer bestimmten Person verbinde. Es ist doch schöner, zu Hassan, Yanni oder Mike zu gehen, anstatt irgendwohin. Heute Abend führt uns der Weg zu Ralf Müller nach Willich-Schiefbahn. Sehr geschickt, hier hat der Besitzer sein Lokal nach sich selbst benannt – das schafft doch gleich Vertrautheit. Wie sich herausstellt, hat er aber nicht nur dem Namen, sondern auch den Räumen seinen ganz persönlichen Stempel aufgedrückt. Allerorts ist seine große Leidenschaft für seltene, außergewöhnliche und edle Spirituosen jeglicher Form zu bewundern. Alle Achtung, so viele Raritäten habe ich noch nie auf einem Fleck gesehen.
Trotzdem: ‚Flüssignahrung‘ macht zwar lustig, aber noch lange nicht satt, was ja der Grund unseres Besuchs ist. Angekündigt wurde uns der Küchenstil ganz bodenständig als ‚gut-bürgerlich‘. Im Laufe der nächsten Stunden wird sich zeigen, dass das die Untertreibung des Jahrhunderts war. Viele Gerichte klingen zwar vertraut, so lese ich Sauerbraten oder Rumpsteak und Heilbutt gesellt sich zu hausgemachten Cannelloni. Das Angebot klingt zwar verführerisch, aber nicht sehr spektakulär. Welch hohe Kunst sich hinter den schlichten Bezeichnungen verbirgt, das erfahren wir erst, als uns die Speisen serviert werden.
Den Start bilden ein Krustentierschaum-Süppchen mit gebratener Garnele sowie eine kleine Vorspeisenauswahl mit Ziegenkäse an Zwiebelconfit, hausgebeiztem Lachs auf Reibeküchlein und eine ‚Consommé mit Gemüsestreifen und Portweinduft‘. Glauben Sie mir – es schmeckt nicht, wie es klingt, sondern noch viel besser!
Die Begeisterung setzt sich auch bei den Hauptspeisen fort, dem Zweierlei vom Duroc-Schwein und dem rosa gebratenen Kalbstafelspitz. Ich habe selten solche Überraschungen erlebt. Man darf schon fast behaupten, hier Sterneniveau genießen zu dürfen. Was das erstaunlich junge Küchenteam aus Schweinebauch und -filet gezaubert hat, ist kaum in Worte zu fassen. Zart, saftig, geschmackvoll und mit einem Sößchen garniert, nach dem man sich nur die Finger lecken kann. Auch der Tafelspitz ist ein Erlebnis und stellt jedes Filet in den Schatten. Besonders beeindruckt bin ich von dem Zusammenspiel aller Komponenten. Das Gemüse hat noch Biss, dabei sein eigenes Aroma behalten und fügt sich mit Fleisch und Sauce zu einer Einheit. Hier wird restlos alles frisch aus hervorragenden Zutaten zubereitet. Diese Qualität hat natürlich auch ihren Preis, wobei das Verhältnis sehr stimmig ist.
Doch habe ich nicht zu Beginn davon gesprochen, dass ein Abend erst durch die Möglichkeit, kulinarische Genüsse mit einer bestimmten Person zu verbinden, perfekt wird? Genau dafür sorgen Ralf Müller und seine Frau Andrea Koschinski. Er ist ein kölsches Urgestein vom Schlag eines Köbes mit lockeren Sprüchen und einer ganz speziellen Art, sie ist die sanfte, gute Seele, die immer ein Lächeln und ein freundliches Wort auf den Lippen trägt. Zusammen bilden sie ein Gastgeber-Dreamteam, dessen Geselligkeit innerhalb weniger Minuten jedes Eis bricht.
Die Frage nach dem Fazit unseres Besuchs erübrigt sich wahrscheinlich, wenn ich erzähle, dass wir uns bald bei Kerzenschein und Köstlichkeiten wiederfinden werden und auch mit den monatlich stattfindenden Kochkursen liebäugeln, um noch öfter so schöne Stunden zu verleben. Und vielleicht schlage ja auch ich bald die Hacken meiner Schuhe aneinander, es muss ja nicht zwingend roter Lack sein: There’s no place like Ralf Müller …
Ihr LeckerSchmecker
Jean Jacques