Endlich wieder Sommerzeit: Abends noch ein kurzes Radtöurchen oder nach getaner Gartenarbeit die letzten Sonnenstrahlen genießen und den Stiefmütterchen beim Einschlafen zusehen? Von wegen! Stattdessen schleppe ich unentwegt zur Aufrechterhaltung einer annehmbaren Innenraumtemperatur Kaminholz in die Hütte und habe täglich damit zu tun, den Unfug, den Sturmtief Niklas an Haus und Hof angerichtet hat, zu beseitigen. Die meisten Leute empfinden das Gleiche wie ich und brabbeln mit roten Rotznasen aus ihren hochgeschlagenen Fellkapuzen: „Da soll einer nicht krank werden!“ In diesem Zusammenhang fällt mir dann wieder ein typisch niederrheinisches (Sprach-) Verhaltensmuster auf, wenn es darum geht, sich bezüglich der Zipperlein, einem Unwohlsein oder gar Krankheiten auszutauschen.
Kennen Sie das? Egal, was Sie selbst hatten und wie lange es andauerte, Ihr Gegenüber, dem Sie davon berichten, hatte es auch schon. Nur vieeel schimmer und mindestens doppelt so lang. „Ich war die Tage krank, schlimm erkältet, hab‘ drei Tage im Bett gelegen.“ „Das ist doch noch gar nichts! Ich hatte die persische Vogelgrippe! Endstadium – Stufe 6 von 5. Aber tüchtig! Drei Wochen Bettruhe bei 45 °C Fieber!“
Wenn Sie erzählen, dass sich Ihr Kind beim Skilaufen ein Bein gebrochen hat, kontert der andere: „Das ist doch noch gar nichts! Unser Ältester war jetzt in Österreich. Lawine – und zack: Drei Stunden unterm Schnee, das gesamte Skelett gebrochen. Dann das volle Programm: Hubschrauber, Spezialklinik, 5 Ärzte, 8 Stunden OP … Fährt aber schon wieder Skateboard.“
Ist denn die eigene Krankheit nichts wert? Wieso hat denn jeder das Bedürfnis, noch kränker gewesen zu sein? Was soll dieser Unfug? In meinen Augen sind dies aber auch diejenigen, bei denen es im Urlaub nie geregnet hat und deren Auto immer einen Liter weniger verbraucht als Ihres. Sie können im gleichen Ort zum Wintersport gefahren sein: Waren bei Ihnen die Bedingungen eher durchwachsen und meist sehr neblig, hatte der andere „… ein Kaiiiserwetter und nur strahlend blauen Himmel.“
Wofür diese Prahlerei? Wem will man damit imponieren? Diese Leutchen haben auch noch nie im Stau gestanden. „Letztes Jahr, von Gladbach nach Valencia, noch keine zehn Stunden und immer nur volles Pfund …“ In Wahrheit haben sie schon kurz hinter Luxemburg übernachtet, weil die Nerven blank lagen, die Kinder quengelten und Vater die Äugelein zufielen …
Übrigens: Deren Kinder hatten bereits mit vier Jahren das Sportabzeichen und konnten schon in der Spielgruppe einhändig eine Seezunge tranchieren.
„… unsere Sophie Christine hat jetzt mit dem Saxofonspielen aufgehört.“ Wahrscheinlich störten die Milchzähne.
Wir sind eben nicht alle perfekt und ein jeder hat seine Fehler. Dazu kann man doch stehen! Ich kenne kaum jemanden, dem ein Anzug oder die neue Jeans auf Anhieb passt. Na und? Nimmste halt ’ne Nummer größer. Die richtigen Waschbrettbäuche gibt’s eh nur auf den Plakaten beziehungsweise in der Werbung. Das wahre Leben spielt eben hier und heute.
Im Fernsehen sieht man schon mal Frauen, die abends bei Kuschelrock 15 auf ihren Mann wartend, leicht bekleidet auf der Couch lungern und einen Bourbon schlürfen. Da kann man sich doch erkälten! Na und – Hauptsache schlimmer als der Nachbar …
Ihr Gregor Kelzenberg