Zugegeben, die meisten dieser Psycho-Folter-Veranstaltungen im Kindergarten, in der Grundschule und später in diversen Gymnasien habe ich meist meiner Frau überlassen. Es war nie so mein Ding.
Mit Abschluss des vergangenen Schuljahres habe ich drei Kinder erfolgreich durch das deutsche Bildungssystem geschleust und komme glücklicherweise nie wieder in die Verlegenheit, mir eine Ausrede suchen zu müssen, wenn es heißt: „Donnerstag ist Elternabend, so um 18 Uhr. Könntest ruhig auch mal wieder hingehen – sind schließlich auch deine Kinder!!!“ Dabei war ich schon etliche Male freiwillig Zeitnehmer bei den Bundesjugendspielen, begeisterter Zugabe-Brüller bei verschiedenen
Ballettaufführungen und jährlich der Depp am Grillstand beim Sommerfest.
Tief sitzen die Erinnerungen, als ich stundenlang an viel zu kleinen Tischen nicht enden wollenden Diskussionen beiwohnen musste, bei denen engagiert über die Höhe des Taschengeldes für den Ausflug ins Landschulheim oder den Einkauf von zuckerreduziertem Ketchup für
das Sommerfest referiert wurde. Nirgends wurde so viel Zeit mit sinnfreien Gesprächen – oftmals Monologen – vergeudet wie auf Elternabenden. Wären jeweils nur Väter da gewesen, hätte eine solche Veranstaltung nach 30 Minuten beendet sein können?
Aber beim Tagespunkt ‚Verschiedenes‘ meldet sich eine schlecht frisierte Mutter im asymmetrischen Lappen-Clown-Kleid mit bierdeckelgroßen Knöpfen (verschiedenfarbig natürlich) und selbst gezimmertem Halsschmuck: „Muss meine Tochter im Schwimmunterricht einen Badeanzug tragen oder sind auch Zwei-teiler erlaubt?“ Solch ermüdende Vorträge von alleinerziehenden Waldorf-Prinzessinnen enden selten ohne den Hinweis, dass es zu ihrer Abi-Zeit damals alles viiiiel unkomplizierter war.
Es wird noch schwadroniert über die Anschaffung eines einheitlichen Taschenrechners (meist Texas Instruments – davon liegen noch mehrere fast unbenutzt bei mir auf dem Speicher) und das Experiment im Biologieunterricht ‚Hanf im Klassenzimmer – Aufzucht, Pflege und Verwendung‘.
Kurz vor dem Erreichen des Wachkomas, nach endlosem Stieren auf die Karte der chemischen Elemente und dem Ertasten des Härtegrades von Kaugummis unter der Tischplatte, kommt ein letzter Schreckensmoment: die Wahl des Klassenpflegschaftsvorsitzenden.
Verstohlenes Fremdschämen. Schneidende Stille überlagert die abgestandene Luft im Klassenzimmer der 5 b. Selbst die Zimmerpflanzen auf der Fensterbank haben schlechte Laune. Viele versuchen teilnahmslos jeglichen Blickkontakt zu vermeiden und checken das Rastermaß der PVC-Fliesen auf dem schlecht geputzten Fußboden. Man hört das Rauschen des Blutes im Schädel des Nachbarn … Plötzlich räuspert sich jemand und goutiert mit leicht geröteten Bäckchen unter seiner dicken Brille. „OK, ich mach’s!“ Er war seinerzeit schon Kreideholer und bewies Führungsqualitäten beim Tafeldienst. Sein abgewetzter Brustbeutel baumelt beim Aufstehen vor dem bis zum Hals zugeknöpften Hemd (Fasermaterial 100 % Synthetik – Hersteller nicht näher bezeichnet).
Entspanntes Aufatmen wie beim Elfmeterschießen, Schulterklopfen, unverbindlicher Smalltalk. Nun nur noch rasch ein paar Formalitäten bei dem Typen im Cordsakko vorne an der Tafel klären und dann nix wie nach Hause. Bevor ich mich aus dem Klassenzimmer stehlen kann, brummt man mir noch einen Posten in einem überflüssigen Bereich auf und, weil ich so natürlich aussehe, werde ich zum Projektleiter ‚Kräuterbeet im Schulgarten‘ ernannt. Dabei hätte ich viel lieber beim Sommerfest den Job mit der Hupe an der Hüpfburg übernommen.
Was soll’s? Wenn ich mal Enkelkinder habe, kann ich mich ja immer noch als Nikolaus im Kinder-garten nützlich machen …
Ihr Gregor Kelzenberg