Sie ragen sichtbar über die Dächer ihrer Umgebung hinaus. Sie wirken so riesig und mächtig, dass sich der Mensch in ihrer Nähe klein und unscheinbar fühlt. Und wenn die Gläubigen ihre gewaltigen Innenräume bis auf den letzten Platz füllen, dann wird auch die Größe des jeweiligen Glaubens damit sichtbar. So
ist es alle Jahre wieder gerade zu Weihnachten in unseren christlichen Kathedralen. Der Effekt von Größe und Bedeutsamkeit findet sich aber ebenso in den Tempeln,
Synagogen oder Moscheen der anderen Weltreligionen.
Der britische Bestsellerautor Ken Follett (‚Die Säulen der Erde‘) hat in einem Interview geäußert, jene großen Kathedralbauten der Welt seien auch sichtbarer Ausdruck davon, dass Menschen unter der Aufgabe, gewaltige Bauten für ihre Glaubensgemeinschaft zu schaffen, über sich hinaus wüchsen. Der Glaube versetzt Steine. Grund genug, gerade im Weihnachtsmonat über solche Gebäude zu berichten, die überall auf der Erde natürlich auch höchst anziehend auf Touristen wirken. So wie ‚unser‘ Kölner Dom, der mit jährlich über sechs Millionen Besuchern Deutschlands ungefährdeter Tourismusmagnet Nummer eins ist.
Der Dom der Kölner benötigte mehr als 600 Jahre bis zur Fertigstellung – und das ist immer noch fast ein Pappenstiel für die Tschechen. Ihre St. Vitus-Kathedrale, populär als ‚Veitsdom‘ bekannt, deren Türme die Prager Burg krönen, entstand ab 1344 auf den Fundamenten eines Gotteshauses aus der Zeit um das Jahr 1000. Könige und Kaiser wurden hier gekrönt, historische Machtwechsel wurden hier zelebriert – und doch dauerte es bis 1929, ehe der Veitsdom vollendet werden konnte. Jetzt, im Dezember, ist er besonders festlich geschmückt, und die Gottesdienste atmen den Geist der Weihnacht.
Gewaltig und überaus farbenfroh begegnet uns die St. Basilius-Kathedrale etliche hundert Kilometer weiter östlich, auf dem Roten Platz in Moskau. Das machtvolle Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert, in der Zeit der Zaren Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche, verschmolz mit der Bau-Umgebung des Kreml, also des Machtzentrums der Sowjetunion. Heute dient die einstige Kathedrale wieder Glaubens-Zwecken – als stark besuchtes Museum der orthodoxen Kirche.
Blau-weiße Fliesen in der Kuppel und am oberen Rand des übrigen Bauwerks gaben ihr den populären Namen – der Blauen Moschee in der Weltmetropole Istanbul. Der Sultan Ahmet hat die heutige Hauptmoschee Istanbuls 1616 von dem Architekten Mehmet Aga errichten lassen. Heute gilt sie nicht nur als einer der größten Anziehungspunkte der Stadt. Sie ist zugleich ein Hauptwerk der historischen osmanischen Architektur. Und dann erst die ganz junge Omar Ali Saifuddin Moschee in Banda Seri Begawan, Hauptstadt von Brunei im Norden von Borneo. Erst 1958 wurde das mächtige Gebäude-Ensemble in einer künstlichen Lagune auf Anweisung des Sultans von Brunei errichtet – ein märchenhaftes Bild schon aus der Ferne. 52 Meter erhebt sich die Moschee, deren Kuppel und Haupt-Turm mit purem Gold gedeckt sind.
Regelrecht streng und offenkundig bescheiden wirken dagegen besonders viel besuchte Kirchenbauten im kargen Norden Europas. Darunter die berühmte Borgund Stabkirche im norwegischen Lardal, die heute als Museum neben einem modernen Kirchenbau genutzt wird. Sie stammt aus dem Jahr 1342 und gehört zu den nur noch 28 übrig gebliebenen Sakralbauten dieser Bauweise, die noch im Land der Wikinger zu besichtigen sind.
Die Stabkirchen wirken nahezu geschwärzt, die lutherische Hallgrimskirkja in Islands Hauptstadt Reykjavik hingegen strahlt schneeweiß. Sie gilt als eine Hauptattraktion der Metropole, auch wegen des alljährlichen Orgel-Sommers, der in dieser Kirche stattfindet. Die aus Bonn herbeigeschaffte Klais-Orgel ist es, die diesen musikalischen Magnetismus ermöglicht hat.
Gotteshäuser begegnen uns weltweit in vielfältiger Gestalt. Aber wo ihre Schöpfer über sich selbst hinaus gewachsen sind, ziehen sie uns überall in ihren Bann.
Peter Lamprecht