Es begab sich aber zu der Zeit (…) da Quirinus Stadthalter von Syrien war …
(aus dem Lukasevangelium 2; Vers 1)

Das Weihnachtsfest naht mit großen Schritten. Es lebe die Vorfreude! Und die lass‘ ich mir von nichts und niemandem nehmen. In bewegten Zeiten mit täglichen Horrormeldungen und grausamen Bildern in den Medien tut es gut, sich an Ritualen und Bräuchen festhalten zu können, die Ankerpunkte im Kalender darstellen.
Was gab es Schöneres, als sich damals in der Adventszeit die Nase an der kalten Schaufensterscheibe des Spielwarengeschäftes platt zu drücken und sich gedankenverloren mit einem der Figürchen der H 0 Märklin Landschaft zu identifizieren. Ich konnte mich nie zwischen dem Kranführer in dem rieeesigen gelben Liebherr Kran und dem Feuerwehrmann mit dem faszinierend blinkenden Blaulicht auf dem Magirus Feuerwehrauto entscheiden.
Nichts hätte ich mir als Kind sehnlicher gewünscht, als eine Röntgenbrille zur Durchleuchtung der bunt verpackten Pakete auf dem Kleiderschrank, um die kindliche Erwartungshaltung ein wenig zu entschärfen.
Wie bitte klingt dann, 40 Jahre später, der Satz meiner Frau: „Wir schenken uns dieses Jahr mal nichts. Wir haben sowieso fast alles und außerdem müsste unser Schlafzimmer dringend renoviert werden!“ Mir doch egal, wenn im Schlafzimmer die Tapeten von der Decke fallen und der Teppichboden aussieht, wie damals der in den Umkleidekabinen vom Kaufhof am Marienplatz, 12 Jahre vor dessen Schließung. Ich steh‘ nun mal auf Weihnachten!
Um das Warten aufs Christkind erträglicher zu machen, das zermürbende Stunden-runter-Zählen bis Heiligabend annehmbarer zu gestalten und um vom Bescherungs-Countdown abzulenken, war die Hauptlektüre in der Adventszeit der jährlich erscheinende, fingerdicke VEDES Katalog im DIN A5 Format. Das Mathe- oder Biologiebuch konnte ruhig mal im Tornister fehlen – Hauptsache der Spielwarenkatalog war dabei. Die Seiten mit den neuesten Lego Bausätzen, den Konstruktionskästen von Fischer Technik oder gar den Neuerscheinungen von Carrera waren bis Mitte Dezember zerfleddert, rundum mit Notizen bestückt und mittels mehrfarbigen Textmarkern bis zur Unkenntlichkeit gekennzeichnet.
Wie schlimm war es bitte, wenn die Mutter an einem Adventssamstag vom Einkauf zurückkam und ausschließlich Tüten von C&A oder dem Modehaus Gräfer aus dem Kofferraum lud? Ein neues Paar Schuhe unter dem Weihnachtsbaum oder gar eine chice Winterjacke waren für meinen Bruder und mich die Höchststrafe. Welches Kind wünscht sich zu Weihnachten schon einen neuen Schreibtisch mit höhenverstellbarer Arbeitsplatte und ergonomisch geformter Linienführung? Erzähl das mal einem nach den Ferien und du bist der biggest Loser …
Die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember war für uns die Nacht der Nächte: Wenn nach dem nicht enden wollenden Menue im Anschluss an die Bescherung endlich die neue Avus Rennbahn aufgebaut wurde und wir mit verschwitzten Händen vom Geschwindigkeitsregler nicht ins Bett wollten.
Die Ernüchterung kam am nächsten Morgen, wenn’s nach dem Frühstück zur Kirche ging: „Jetzt zieh mal das neue Winter-Mäntelchen und die chicen Schuhe an.“ Oh my God! Hoffentlich sieht mich niemand. Aber zum Glück schauten die anderen in der Kirchenbank neben mir in ihren kratzigen Stoffhosen und gebügelten Hemden auch nicht glücklicher drein als ich …
Gut zu wissen, dass zwischen Hochamt und dem nächsten Mittagessen genug Zeit sein würde, spannende Rennen auf der neuen Carrera Bahn auszutragen. Ich freute mich schon auf den Katalog fürs nächste Jahr …
Frohes Fest
Ihr Gregor Kelzenberg