In den siebziger Jahren war die Altstadt weit über die Grenzen Mönchengladbachs hinaus bekannt – weil es hier die besten Clubs gab. Noch immer ist sie am Wochenende bei Nachtschwärmern beliebt.
Aber auch bei Tageslicht gibt es hier viel zu entdecken. Die alte Bausubstanz der Häuser erzählt aus Gladbachs früher Geschichte.


Iris Großmann ist mit vollem Herzen Altstadt-Bewohnerin. Vor 20 Jahren haben sie und ihr Mann das schmucke Häuschen in der Heinrichstraße gekauft. Die hellgelbe Fassade, die Eingangstür aus Holz, die Ranken im Vorgarten, der Holzzaun: Das alles sieht ein bisschen so aus, als sei die Zeichnung eines alten Kinderbuches Vorbild gewesen. „Als wir das Haus angeboten bekamen, waren wir vom Standort gar nicht so begeistert“, erzählt Iris Großmann. Trotzdem hat sich das Paar das Objekt angeschaut und war von dem Haus gleich angetan. Ihre zwei Kinder sind hier aufgewachsen und inzwischen möchte die Familie gar nicht mehr weg.
„Ich würde immer wieder hierher ziehen“, sagt die Altstädterin. „Hier ist man in der Mitte des Geschehens, man kennt sich in der Nachbarschaft und gibt aufeinander acht, man hilft sich.“ Die bunte Mischung der Bevölkerung aus verschiedenen Nationalitäten mache die gute Atmosphäre aus. Handwerker, Akademiker, Künstler, Studenten und Rentner wohnen hier zusammen. Und dann ist da noch etwas, das Iris Großmann sehr gefällt: „Es gibt sehr viele schöne, alte Häuser. Wenn die einmal richtig gemacht würden, wäre es hier noch schöner.“ Sie selbst hat gerade einen Teil ihrer eigenen Hausfassade in Sonnengelb gestrichen. Nicht ganz ohne Grund, denn die Wand ziert nun eine der acht Fotografien, die seit einem Monat die ‚Kunstroute Altstadt‘ bilden.
Initiative ergreifen
Die Initiative Altstadt hat das Projekt Kunstroute angestoßen. Seit ihrer Gründung im Juni 2000 setzt sie sich für die Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität in dem Viertel ein. Die Freiluftgalerie soll ein Anreiz sein, die Straßenzüge aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Und wer mit offenen Augen durch die Straßen auf der Suche nach den Bildern des Künstlerduos Link & Kress sowie des in Gladbach lebenden argentinischen Foto-Künstlers Fabio Borquez geht, sieht auch so manche vertraute Ecke mit ganz neuen Augen.
Wussten Sie, dass sich am Fuße der kleinen Treppe vom Münsterplatz der lauschige Garten eines Restaurants befindet? Hier sitzen die Gäste unter dem grünen Dach der Bäume an Tischen mit rot karierten Tischdecken. Haben Sie schon bemerkt, dass der Platz vor dem Alten Zeughaus mit der alten Wasserpumpe und den roten Blumen einem das Gefühl gibt, man wäre irgendwo im Urlaub? Es dürften einige Gladbacher ähnliche Motive aus historischen Städtchen am Rhein im Fotoalbum haben.
Mit ihren Fotos, die aus ihrem Bilderzyklus ‚Fotografisches Reisetagebuch‘ stammen, bringen Link & Kress einen Hauch Amsterdam, Havanna und Lissabon in das Viertel. In diesen Städten entstanden ihre in der Freiluftgalerie gezeigten Bilder. Eines davon ist vom Alten Zeughaus direkt zu sehen. Das Foto zeigt eine Szene auf einem Flohmarkt in Amsterdam: Ein Mann probiert eine Trompete aus, während sich ein kleines Mädchen dabei die Hände vor die Augen hält. Der Fotografin Anna Link ging es bei der Aufnahme um die Atmosphäre, die das Bild ausstrahlt. „Momente mit solchem Flair kann man auch in Gladbach finden“, sagt sie. „Und vielleicht hängt ja mal in einer Stadt wie Amsterdam ein Bild, das hier in der Altstadt entstanden ist.“
Neuer Glanz für alte Viertel
Dass Anna Link recht haben könnte, zeigt sich auch in der Waldhausener Straße. Berühmt geworden ist sie durch Günter Netzer. Als der Anfang der siebziger Jahre seine Disko Lovers‘ Lane eröffnete, zog sein berühmter Name auch Besucher aus Düsseldorf und Köln nach Mönchengladbach. Mit dem Weggang des Fußballers fehlte eine große Attraktion und der Ruhm verblasste.
Aber seit einigen Jahren versuchen die Bewohner, das mit der Zeit etwas ramponierte Image wieder zu wandeln. Erst wurde aufgeräumt, repariert und gestrichen. Dann wurde neu überlegt, wie das Viertel wieder belebt werden könnte.
Ein Ergebnis dieser Überlegungen ist das Blaue Haus, das schon seit 2010 als offenes Atelier genutzt wird. Gleich daneben lernen Kunstinteressierte in einer Malschule den richtigen Umgang mit Pinsel und Leinwand. Auch die Kulturküche ist ein Kind dieses Prozesses und hat sich mit dem Konzept Café, Kultur und Büros für Kreative inzwischen etabliert. Hier kommt man zusammen, um zu diskutieren, Musik zu erleben oder eine kleine Pause zu machen. Seit der Bouleplatz unter den Bäumen des Grünewaldplatzes eingerichtet wurde, treffen sich hier regelmäßig Sportbegeisterte, um sich in der Kunst des Kugelwerfens zu messen. Sogar Turniere werden regelmäßig veranstaltet.
 
Jeder soll sich in der Altstadt wohlfühlen und am Leben teilhaben können – unabhängig von seinem Hintergrund. Deshalb kann man sich Boule-Kugeln kostenfrei in der Kulturküche, im Stainer’s und im Mirage ausleihen. Das ist vor allem für diejenigen interessant, die sich zum ersten Mal in diesem Spiel probieren wollen. Passionierte Spieler haben ihre eigenen Kugeln. Frankreich-Urlauber erfahren das immer wieder, wenn sie in Dörfern und Vierteln der großen Städte die Frauen und Männer auf den Plätzen beobachten.
Da trifft es sich doch gut, dass auch auf der Waldhausener Straße das Flair der Grande Nation gegenwärtig ist. ‚Grand Vins de France -Selection de Marie Solange‘: Das weiße Schild mit blauer Schrift weist den Weg zu einem der edelsten Exportschlager der Franzosen. Die Ornamente am Haus, die Bäume und das Kopfsteinpflaster geben ein Bild ab, dass man auch in der Heimat der besten Weine der Welt kaum schöner findet.


Von früher bis heute
Hier in der Altstadt wandelt man auf den Spuren der Geschichte. Das Rathaus Abteiberg wurde im 17. Jahrhundert als Abtei gebaut. Von 1805 bis 1835 beherbergten die Mauern einen Spinnereibetrieb, bis schließlich die Stadtverwaltung dort einzog. Wer davor steht und über die Brüstung auf die Weiherstraße runterschaut, entdeckt eine Reihe Häuser aus dem 19. Jahrhundert mit üppig verzierten Eisengittern vor den Fenstern, Ornamenten und kleinen Fenstern mit Butzenscheiben. Man sieht alte Laternen, Figuren von Schutzheiligen in Mauernischen, reich dekorierte Fassaden und mittendrin die Skulptur ‚Turmbau zu Babel‘, die der Gladbacher Künstler Thomas Virnich 2002 schuf.
In diesem Viertel hat das Winterbrauchtum mit dem Karnevalsmuseum im Alten Zeughaus genauso eine Heimat gefunden wie die Schützen für offizielle Anlässe des Sommerbrauchtums im Dicken Turm. Und sogar bis nach Hollywood strahlt die Gladbacher Altstadt aus: Joseph Hubertus Pilates (1883 – 1967) war ein Kind der Waldhausener Straße. Am ehemaligen Standort seines Geburtshauses am Fuße des Dicken Turms erinnert eine Plakette an den Erfinder des Pilates-Workouts, mit dem noch heute Hollywood-Schönheiten und Supermodels ihre Körper in Form bringen.
Garnet Manecke
www.altstadt-labor.de
www.altstadt-moenchengladbach.de