Mit einem IQ von 134 ist Simon Witte hochbegabt. Trotzdem kam der 15-Jährige in der Schule nicht zurecht. Als er vor zwei Jahren das dritte Gymnasium verlassen sollte, wandte sich seine Mutter Beate Witte, selbst Lehrerin an einem Berufskolleg, an Wasja Steinborn, Geschäftsführer der Hebo Privatschule in Mönchengladbach. Der vierte Schulwechsel brachte schließlich Erfolg. Im Gespräch mit Urbano erzählen die drei, was jetzt anders ist.

Warum hat es auf den staatlichen Schulen nicht geklappt, Simon?
Simon Witte Ein Problem war, dass ich mich im Unterricht gelangweilt habe. Ich habe schon in der ersten Stunde den Stoff verstanden und hätte da schon eine Arbeit schreiben können. Danach war es für mich langweilig. Mit meinen Mitschülern lief es auch nicht gut. Wenn ich einen Witz gemacht habe, hat keiner gelacht, weil sie nicht wussten, wovon ich rede. Und wenn sie einen gemacht haben, dachte ich nur: Wie kann man über so was lachen?
Aber hättest Du nicht einfach mitmachen können und Dich zu Hause mit den Dingen beschäftigen, die Dich interessieren?
Simon Witte Ich hatte keine Lust mehr, Hausaufgaben zu machen. Und in den großen Klassen kann man sich sehr gut verstecken.
Beate Witte Man darf nicht vergessen, dass Simon noch ein Kind war, als die Schwierigkeiten anfingen. Auch Hochbegabte sind Kinder und handeln entsprechend. Gerade Jungs neigen in solchen Situationen zur Totalverweigerung.
Wasja Steinborn Ein Punkt, den wir bei Hochbegabten oft beobachten: Sie haben etwas verstanden, fangen an, sich zu langweilen und hören nicht mehr zu. Dadurch verpassen sie den nächsten Punkt, auf dem dann der folgende Stoff aufbaut und so entstehen Wissenslücken. Das Erstaunliche bei Simon war, wie wir später festgestellt haben, dass er gar keine Lücken hatte – aber trotzdem schlechte Zeugnisnoten. Nach den ersten sechs Wochen bei uns sah das ganz anders aus.
Heute gehst Du in die 10. Klasse. Was hat sich verändert?
Simon Witte Einfach alles. Schon am ersten Tag haben mir die kleinen Klassen gefallen und dass man mit dem Lehrer Augenkontakt hatte. Es gab von Anfang an direkt eine gewisse Harmonie. Der Lehrer ging herum und redete mit den Schülern, was ich nicht gewöhnt war. Fragen waren ausdrücklich erwünscht. Die wurden nicht unterdrückt nach dem Motto ‚das kommt später‘ oder ‚das brauchen wir noch nicht‘.

Beate Witte Der Unterschied ist, dass Simon hier ernst genommen und mit ihm wertschätzend umgegangen wird. In staatlichen Schulen wird nicht berücksichtigt, dass nicht nur schwache Schüler gefördert werden müssen, sondern auch hochbegabte. Die Lehrer werden dafür nicht ausgebildet und stehen zudem sehr heterogenen Klassen gegenüber. Als ich an meiner Schule anfing, hatte ich zwei Problemschüler. Heute sind es zehn, die Zahl hat sich verfünffacht. Ich habe auch eine hochbegabte Schülerin, die Schwierigkeiten hatte. Jetzt gebe ich dem Mädchen zusätzliche Arbeitsblätter und sie ist wie ausgewechselt. Mit Simon haben wir das hier auch erlebt. Eine der ersten Maßnahmen war, dass er sich mit einem Schülerstudium beschäftigen durfte, wenn er mit seinen Schulaufgaben fertig war. Das ist der Unterschied: Es werden Angebote gemacht und ausprobiert.

Wasja Steinborn Wir haben eine Kollegin, die für verschiedene Schüler individuelle Förderpläne erstellt, die hochbegabte Schüler erledigen können, wenn sie mit dem Unterrichtsstoff früher fertig sind. Zudem haben wir neben unseren 25 Lehrern auch noch 20 Junglehrer, was uns in der individuellen Förderung extrem flexibel macht.
Wie hat sich das Familienleben verändert?
Beate Witte Es ist viel harmonischer geworden. Wenn Simon jetzt abends nach Hause kommt, sind seine Hausaufgaben schon gemacht. Es gibt keinen Streit über die Schule mehr, was früher das Familienleben sehr belastet hat.
Simon Witte Zu Hause ist es jetzt viel ruhiger und ich gehe gerne in die Schule.

Das Gespräch führte Garnet Manecke.