„Ich war noch niemals in New York …
Ging nie durch San Francisco in zerriss’nen Jeans.“

Was hat Udo Jürgens mit dieser legendären Textzeile nur angerichtet? Dass er den Griechen mit dem Kult-Hit ‚Griechischer Wein‘ einen Meilenstein der Musik hinterlassen hat, der im Ran- king um den Bekanntheitsgrad mit der Akropolis gleichzieht, hätte niemand je geahnt. Aber wer von uns hätte denn geglaubt, dass die oben besungenen zerrissenen Jeans jemals salonfähig und der Bekleidungsindustrie erstaunliche Umsatzsteigerungen bescheren würde?

Für die Woodstock-Generation oder die abtrünnigen Altkiffer-Jahrgänge aus Torremolinos gehörten die Gammler-Klamotten zur Uniformierung einer Gesellschaft von Freidenkern und Revoluzzern. Meine Mutter hätte mir zur Strafe neben einer Backpfeife eine Woche Fernseh- verbot auferlegt (ja, das gab es wirklich), wäre ich mit einer Jeans ins Rheydter Stadttheater gegangen. Von aufgerissenen Kniepartien, 5-Markstück-großen Einschusslöchern und ausgefranstem Hosenschlag war zu der Zeit noch nicht mal die Rede! Heute könnte man in einer ‚Vintage-Five-Pocket im Used Look‘ die Festspiele in Bayreuth eröffnen … Wirre Zeiten eben.

Aber nicht nur bei den Klamotten laufen die Tendenzen aus dem Ruder. Die ‚Shabby Chic‘ Welle hält schon seit Langem Einzug in die Möbelhäuser und die Branche der Wohntextilien. (Im Übrigen übersetzt Wikipedia den Begriff mit ‚marode‘ oder ‚heruntergekommen‘). Lediglich die Bezahlung ist konservativ geblieben. Eine auf alt getrimmte Kommode ist nun mal deutlich teurer als eine neue, makellose ohne Kratzer und Gebrauchsspuren. War doch schließlich ’ne Menge Arbeit, das Möbelstück zu geißeln, mit der Schrotflinte zu beballern und am Ende mit Kaffeesatz und benutz- ten Teebeuteln einzureiben! Bei Teppichen sind ähnliche Tendenzen erkennbar. Ein versiffter Teppich aus dem Partykeller nach einer entarteten Abifeier kann – bei geschicktem Marketing – Bestseller-Preise im Bereich ‚Kuriositäten‘ erzielen.
Zum Glück hat die ’normale‘ Auto-Indus- trie diesen Trend noch nicht aufgegriffen. Nur wer es sich leisten kann, lässt seinen ‚Lambo‘ für teuer Geld mit einer Rostfolierung aufpimpen, um zwischen den Hochglanzproleten nicht – oder eben doch – aufzufallen. Zurückhalten- des Understatement kommt an. Warum nicht zeigen, wenn man’s hat? Für einen blank polierten Carrera zückt kein Paparazzo sein Teleobjektiv. Kommst du aber mit einem Ferrari daher, der so aussieht, als hätte er 14 Tage bei Sankt Peter Ording Ebbe und Flut miterlebt, steht es morgen in der Express oder schafft zumindest 1.000 Likes bei Insta. Als mir neulich ein LKW beim Zurücksetzen die Motorhaube demoliert hat, war mir zum Heulen zumute. Wäre es Pu Daddy oder 50 Cent passiert, hätten sie die Bilder an die Presse verkauft.

An meinem Hemd ist eben ein Knopf abgegangen. Fahr ich jetzt zur Kö und mach auf Dicke-Hose-Trendsetter oder leg‘ ich es heute Abend unauffällig in den Wäschekorb und sage: „Das war schon.“? In Sachen Socken war ich eh schon immer ein Trendscout des Used-Looks. Ich darf das hier nur nicht ausführen, denn als Geschenk ein paar Socken auszupacken, wäre schon ziemlich ‚lame‘.

Ihr Gregor Kelzenberg