Julia Tischler, Marokko-Expertin, beschreibt die Besonderheiten eines Landes, das immer mehr deutsche Urlauber anzieht.

„Da ist wirklich alles anders“, verspricht sie. Die junge Reise-Expertin, Product Manager für Marokko und den Mittleren Osten bei Tischler Reisen in Garmisch-Partenkirchen, spricht so über das Aufsteigerland des Jahres unter den Reisezielen der Deutschen. Sechs Prozent Plus für das Königreich am Rande der Sahara – dieses Ergebnis verkündete gerade erst der Deutsche Reise-Verband, die Dachorganisation der Reisebüros und Veranstalter. Nahezu alle sind auf den Zug nach Marokko mit aufgesprungen.
Alles anders? „Ja, nach knapp unter vier Stunden Flugzeit kenne ich kein Reiseziel, auch keines in Nordafrika, das sonst so viel Exotik, so viel Überraschendes und so viel fremde Ursprünglichkeit zu bieten hätte wie Marokko. Das ist Orient und Afrika, gewürzt mit einem kleinen Stück Europa als Erinnerung an die lange Herrschaft der Franzosen. Es bietet eine gewaltige, weite Bergwelt, endlose Wüste, erfrischende Atlantikseeluft und prächtige Stadtlandschaften zugleich“, bekräftigt die Marokko-Expertin ihr Urteil.
Als mittelständische Reiseveranstalter haben die Tischlers dieses Reiseland auch intensiver als andere durchdrungen, sodass sie heute gut konzipierte Selbstfahrerreisen ebenso anbieten können wie ‚Rundreisen à la carte‘. Schon zwei Personen können mit Mietwagen und Fahrer, sogar auf Wunsch zusätzlich mit deutschsprachigem Reiseleiter, auf eigene Faust das morgenländischste unter allen Morgenländern erkunden. Und: „Ich kenne mindestens 90 Prozent der Hotels in unserem Katalog aus eigener Anschauung“, versichert die Reisefachfrau.
So ‚anders‘ das Ziel Marokko auch sein mag, es wird aufgrund persönlichen Augenscheins nach hiesigen Kategorien geurteilt, die Hotelsterne im Katalog haben also auch für Marokko deutsches Gewicht: „Fünf Sterne sind fünf Sterne nach unseren Maßstäben, nicht nach Landeskategorie.“ Zum vollständigen Bild gehört ebenso, dass auch viele kleine und traditionelle Unterkünfte wie Riad oder Kasbah im Programm sind, häufig nur mit acht bis zehn Zimmern.

 

„Die alten Königsstädte Marrakesch, Fes, Meknes, Casablanca und Rabat sind unvergleichlich ursprünglich geblieben.“

 
Marokko-Einsteiger, die trotz aller Hymnen eher auf bekannte Muster statt auf das Abenteuer des gänzlich Neuen setzen, zieht es in dem Königreich mit einem nach afrikanischen Maßstäben durchschnittlichen Volkseinkommen und einer westlich strukturierten Wirtschaft vielleicht zuerst in den großen Badeort Agadir am Atlantik.

Die meisten Zeugen der langen Geschichte  wurden dort 1960 bei einem Erdbeben zerstört. Danach entstand ein modernes Ferienziel nach vorwiegend europäischem Geschmack: Badeherbergen aller Ketten und Kategorien säumen hier einen breiten, langen Sandstrand. Man wählt zwischen RIU und Sofitel, das Klima ist mild – fast wie auf den nahen Kanarischen Inseln.
Von Agadir ging das Wachstum des Tourismus als neues Zugpferd der neuen marokkanischen Wirtschaft aus. Aber schon der erste Ausflug ein paar Kilometer weg von den Bettenburgen sorgt dann doch auch hier für die Begegnung mit dem Unerwarteten, Ursprünglichen. Spätestens der Gang über den Berbermarkt von Agadir führt zurück in die Welt, aus der Marokko kommt: Die raue Welt der Berber, jenes Nomadenstammes aus der Wüste, dem bis heute 80 Prozent der Bevölkerung des Königreichs Marokko angehören. Auf diesem Markt kann man Souvenirs, Tücher und Töpfe aus heimischer Produktion kaufen, aber auch geschlachtete Hühner, Hähne, Ziegen und Lämmer.
Größer und mit reicherem Angebot als Agadirs Berbermarkt sind die Souks der größeren Städte – malerischer vielleicht noch, aber auch genau so fremd und fern. Eigentlich sollte man sie gesehen haben, erst recht die Städte, zu denen sie gehören. „Die alten Königsstädte Marrakesch, Fes, Meknes, Casablanca und Rabat sind unvergleichlich ursprünglich geblieben.“
Dabei denkt die Marokko-Kennerin Julia Tischler besonders an die Dämmerung der Vorabend-Stunden auf Marrakeschs Gauklerplatz, dem ‚Djemaa el Fna‘-Platz. „Den ganzen Tag über tummeln sich hier Gaukler, Feuerschlucker, Bettler und Marktschreier. Und wer hier den Mann mit den Affen fotografieren will, fühlt sich schnell genötigt, dafür ein paar Euro zu geben.
Die Stimmung wechselt gegen Abend, wenn ältere Frauen kommen, sich auf den mitgebrachten Schemeln niederlassen und beginnen, laut Geschichten zu erzählen. Dann sammeln sich um die Erzählerinnen plötzlich 15 oder 20 junge Leute, die atemlos lauschen – wie ihre Vorgänger seit vielen Jahrhunderten auch.“
Peter Lamprecht