Öfter mal was Neues wagen – auch das kann ein Vorsatz fürs neue Jahr sein. Warum nicht einfach mal mit Freunden eine Partie boßeln?

Am Ende seiner Überredungskünste war es eine Frage meines Kumpels Simon, die mich überzeugte, zuzusagen: „Wann hast du das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“ Puh, das war wirklich eine gute Frage. Vielleicht, als ich zum ersten Mal eine
WhatsApp-Nachricht geschrieben habe, aber das ist auch schon ein paar Jahre her. Besteht ein Leben nicht viel zu sehr aus Routinen? Außerdem wollte ich nicht der einzige aus dem Freundeskreis sein, der nicht bei diesem merkwürdigen Event dabei ist. Gut,
einverstanden, wir gehen also boßeln. Genauer gesagt: Klootschießen, was eine lokale Variante dieses norddeutschen Sports ist. Aber dazu später mehr.
Es ist knapp ein Jahr her, dass wir uns an einem Samstagmittag im Januar am Stadtrand getroffen haben. Warm eingepackt, mit Schal um den Hals und Fragezeichen auf der Stirn: Was wird uns in den kommenden Stunden erwarten? Simon hält eine gelbe und eine rote mit Blei gefüllte Holzscheibe in der Hand, die sogenannten ‚Kloots‘. Er erklärt, dass die sechs anwesenden Pärchen nun in zwei Gruppen aufgeteilt werden und ihr Wurfgerät mit möglichst wenigen Versuchen den hier beginnenden Feldweg entlang werfen müssen. „Wer die wenigsten Würfe braucht, gewinnt“, erklärt er die ziemlich nachvollziehbaren Regeln des Spiels. Und so einfach wie die Regeln sind auch die Rahmenbedingungen: Man braucht eigentlich nur die Kloots, einen vier bis sechs Kilometer langen Feldweg, gute Freunde und einen freien Nachmittag. Wir entscheiden uns bei der Mannschaftsauswahl für den guten, alten Geschlechterkampf und spielen mit einem Männer- und einem Frauenteam. Simon, der uns diesen herrlichen Quatsch hier eingebrockt hat, kommt aus dem Oldenburger Land. Dort sind an den Wochenenden im Winter die Wege voll mit boßelnden Grüppchen, hier sind wir erst einmal alleine und werden von Spaziergängern mit Hund ein wenig schräg angeschaut.
Kein Wunder, schließlich ziehen wir einen Bollerwagen hinter uns her, mit einem Fässchen Bier und – ganz wichtig, wie Simon sagt – ein paar Fläschchen Likör. Denn ihm als Schiedsrichter obliegt es, unterwegs kleine Sanktionen auszusprechen. Der Kloot kommt vom Weg ab und landet im kleinen Bachlauf am Straßenrand (was nicht selten vorkommt)? Ein wärmendes Schnäpschen zur ‚Strafe‘. Wir passieren eine Straßenkreuzung? Ans Gläschen, bitte. Jemand vergisst, dass er an der Reihe ist? Sie ahnen es schon. Schnäpschen. Die Stimmung steigt unterwegs, was auch an diesem Wetter zum Niederknien liegt: Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, keine Wolke am Himmel, stattdessen eine Sonne, die mindestens so strahlt wie das Männerteam, das zur Hälfte der Strecke klar in Führung liegt. Gut zwei Kilometer sind wir unterwegs, und mit jedem Wurf steigt die Stimmung in den beiden Mannschaften.
Simon ist ganz in seinem Element und referiert über die mehr als 250 Vereine, die in Ostfriesland im Punktspielbetrieb organisiert sind, über die Iren, die diesen merkwürdigen, aber doch geselligen Sport unter dem Namen ‚Road Bowling‘ betreiben und die beiden bekanntesten Wurftechniken överd Dum (über den Daumen) und överd Finge (über den Finger). Und während er so referiert, tut sich am Horizont eine weitere Gruppe gut gelaunter Menschen auf, mit Bollerwagen, Boßel und Bierchen. Scheinbar sind wir nicht alleine hier mit diesem bekloppten Sport, es gibt sogar einen ‚Klootschießer- und Boßelverband Nordrhein-Westfalen‘. Ganz so offiziell wollen wir es nicht machen, wohl aber beschließen wir auf den letzten hundert Metern, uns jetzt einmal jährlich im Januar zum Boßeln zu treffen – sehr zu Simons Freude natürlich. Das Happy End wartet im Übrigen bei der ‚Siegerehrung‘ im Landgasthof, wo ein großer Tisch für uns reserviert ist: Es gibt Grünkohl mit Mettwurst für alle. Das gehört wohl dazu wie Bollerwagen und Boßel. Wir sind begeistert und lassen, während es draußen längst dunkel ist und friert, diesen wunderbaren Tag Revue passieren.