Nachdem ich mein Vorbereitungsprogramm ‚Ich bin dann mal schlank‘ erfolgreich absolviert habe, bin ich nun mit meinem Fahrrad unterwegs auf der Via de la Plata, einem der Jakobs-Pilgerwege in Spanien zum Grab des heiligen Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Abweichend vom Stil einer gewohnten Kolumne möchte ich an dieser Stelle vom Pilgern in der heutigen Zeit berichten – von einer Art, Urlaub zu erleben, die einem sehr vieles abverlangt, aber umso mehr gibt.
Diesen von mir gewählten historischen Weg nutzten schon Menschen in der Steinzeit, später die Römer als wichtige Handelsroute auf der Iberischen Halbinsel und die Mauren, die dem Weg auch seinen heutigen Namen gaben. Der Name ‚Via de la Plata‘ – wörtlich eigentlich Silberstraße – geht seiner Etymologie nach eigentlich auf das arabische Wort ‚Bal´atta‘ zurück, mit dem die Moslems jene breite gepflasterte und stabile Verbindungsstraße in den christlichen Norden benannten. Wer jetzt wann, wo und in welcher Zeit Amphitheater, Aquädukte, Burgen oder Schlösser hinterlassen hat, können Sie, wenn Sie wollen, in etlichen Büchern oder im Internet nachlesen.
Ich möchte vielmehr einen kleinen Einblick in das tägliche Freud und Leid eines Pilgers gewähren, wobei mir Leid bislang nicht widerfahren ist. Von den körperlichen Strapazen abgesehen war mir das Wetter hold, und für alles andere entschädigen die permanent atemberaubende Natur und die täglichen Begegnungen mit außerordentlich interessanten Menschen – von den kulinarischen Errungenschaften, z. B. dem Pata Negra Schinken, will ich erst gar nicht anfangen. Sich nach täglichen 100 – 130 km und ca. 1.000 Höhenmetern abends auf ein freies Bett, ein kaltes Glas Wein und Gespräche mit gleichgesinnten Peregrinos zu freuen, lässt die Strapazen eines anstrengenden Tages schnell vergessen.
Doch nun zu den – natürlich übertriebenen – Einzelheiten aus dem Alltag eines Pilgers, z. B. den Annehmlichkeiten einer Pilgerherberge. Ich kenne Frauen, die beim Betreten eines Hotelzimmers als Erstes die Kleiderschranktüren aufreißen und entsetzt keifen: „Wie, nur 5 Bügel!? Wie soll das denn gehen?“ Hätten da 15 Bügel gehangen, hätten sie das gleiche gesagt. Als Pilger hingegen freut man sich über eine freie Stuhlhälfte, auf der man seine Habseligkeiten mit einem Etagenbett-Nachbarn teilen kann, über eine Mauerwerks-Fuge oder einen vorstehenden Nagel zum Aufhängen des Kulturbeutels im Nassbereich. Oder einfach auf eine geringe Quote von Mitbewohnern, die schnarchen oder an Schweißfüßen leiden. Die o. g. ‚Neckermänner‘ bzw. Frauen, hätten auch binnen Minuten sämtliche waagerechten Stellflächen in einem Bad mit unzähligen Kosmetikartikeln zugestellt und sich am Ende beschwert, dass der Föhn nichts taugt.
Das ‚Unterwegssein‘ auf dem Jakobsweg lehrt einen in Bescheidenheit, die Dinge so hinzunehmen, wie sie sind. Man hat Zeit zum Nachdenken und findet Zugang zu sich selbst, nimmt vieles an Erfahrung mit ins Leben und ist dankbar für viele Momente bewussten Erlebens bzw. Erfahrens. In einer Herberge vor Salamanca in einem Ort namens Fuenterroble de la Salvatierra, dessen Namen allein schon eine Geschichte für sich erzählt (die Quelle an den Eichen der gesalbten Erde) stand an der Wand folgende Weisheit geschrieben:
„May the sun shine template upon your face – may the rain fall gently upon the fields – may the wind blow always on your back. And when we meet again, may God have us in the palm of his hand.“
Vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern bin ich begegnet, aber auch vielen freundlichen Menschen am Rand des Weges, die einem „bon Camino“ zurufen. Oftmals haben sich die Leute kopfschüttelnd nach mir umgedreht, weil es nicht oft vorkommt, dass jemand morgens fröhlich singend aus dem Dorf radelt mit dem in der Grundschule bei Rektor Joepen gelernten Lied:
„Danke, für diesen guten Morgen – danke, für jeden neuen Tag.“
Ihr Gregor Kelzenberg