Mein persönlicher Akku ist leer, und am besten fülle ich diesen mit ein paar Urlaubstagen am Meer. So packe ich kurz entschlossen die Tasche, setze mich ins Auto und fahre Richtung Küste. Die meisten aus unserer Region bevorzugen ja den Süden der Niederlande. Ich fahre allerdings hoch in den Norden an das Lauwersmeer. Die Fahrt dahin vermittelt schon hinter der Grenze den Beginn des Urlaubsgefühls. Sie verstehen ja sicher warum. Gepflegte Örtchen, putzige Häuschen und fein angelegte Vorgärten sind das Markenzeichen unserer geschätzten Nachbarn.
Entlang der Autobahn reihen sich die architektonisch interessanten und schicken Gewerbebauten wie die Perlen an einer Schnur auf. Irgendwie frage ich mich dann immer, warum das bei uns nicht geht und wir im Einerlei des Zweckbaus ersticken.
 

„Krachtige Winden van de Kust und viel Sonne sorgen für eine verbrannte Stirn.“

 
Im Laufe der ca. 300 km langen Strecke verändert sich langsam die Landschaft, spätestens zwanzig  Kilometer vor meinem Ziel spüre ich deutlich die Luftveränderung und einen kräftigen Wind. Wie schön, erstmal durchatmen und anfangen, den Kopf freizumachen.
Die Strecke war sehr kurzweilig für mich, Radio 2 NL spielt schon so früh am Morgen Aretha Franklin, Earth, Wind and Fire und der Moderator plaudert fröhlich und lachend drauf los. Ich sinniere während der Fahrt, wie schön doch die Zeit vor dem Euro war. Mensch, da war die Mark viel mehr wert, das war doch immer ein toller Spaß für 100 Pfennige satte 110 holländische Cent zu bekommen. Zudem das fremde Geld ja noch das Gefühl des Urlaubs verstärkte. Yeah, let the good times roll.
Am frühen Vormittag lande ich im Hotel ‚Wad Oars‘ in Anjum. Gerade erst vor vier Wochen eröffnet, im Zentrum der 1200-Seelen-Gemeinde gelegen. Der Koch, der im Augenblick auch Rezeptionist ist, begrüßt mich freundlich. Das Hotel hat fünf Zimmer, diese sind hell und freundlich eingerichtet. Helles Mobiliar, dezente Farben, kultige Bettwäsche, schöne Eichenholzdielen und mein fein hergerichtetes Badezimmer sorgen für eine ausgesprochen angenehme Atmosphäre. Auf Nachfrage, was das Zimmer denn kostet, teilte mir das Personal am Morgen mit, dass das Zimmer für 100 € inkl. Frühstück zu haben sei. Ich stimmte zu und im Nachhinein reduzierte der Hausherr den Preis auf 70 €, da ich nur alleine das Doppelzimmer belege. Da kommt natürlich Freude bei mir auf, und ich bestelle mir sofort das Überraschungsmenü mit drei Gängen für den heutigen Abend. Wir lachen zusammen, erzählen noch ein wenig, und ich bemühe mich, dabei meine holländischen Sprachkenntnisse zu vertiefen. Danach mache ich mich auf zur Erkundung meiner Umgebung.
Krachtige Winden van de Kust und viel Sonne sorgen für eine verbrannte Stirn und – wie soll es sonst sein – auch für einen ordentlichen Hunger.
Das Örtchen und die Umgebung sorgen für Entspannung und heitere Stimmung. Hier und da kann man einen Plausch mit den Ureinwohnern halten, denn im Moment laufen die großen Vorbereitungen für das Dorffest. In den Straßen wird geschmückt und die Gärten werden ganz besonders herausgeputzt.
Für das Drei-Gang-Menü des heutigen Abends putze auch ich mich heraus und stehe in hoffnungsvoller Erwartung, was mir wohl der sympathische Küchenchef auf den Teller bringen wird. In unserem Gespräch am Vormittag erzählte er, dass alle Zutaten wie Rind, Lamm und Fisch aus der Gegend kommen und keinerlei Importe geduldet werden. Das gefällt mir natürlich, da ist doch die Ökobilanz nicht aus dem Ruder gelaufen.
Zunächst ein obligatorischer Gruß aus der Küche. Dann geht es weiter mit zwei kleinen Rouladen vom Herfordrind und einem Aspik von der Möhre mit einer leichten Käsefüllung. Die Optik ist bestechend, der Geschmack ebenfalls, der dazu gereichte Weißwein ist ebenso krachtig wie die Winde von der Küste. Was mich zwischenzeitlich wundert, ist die Tatsache, dass einige holländische Familien mit mehreren Kindern ebenfalls sehr ausgesuchte Speisen verzehren, und ich frage mich allen Ernstes, ob die Frittennation kulinarisch auf der Überholspur ist. Bei uns gibt es für die Kids ja Mc Donalds, Subway und so weiter. Nichts bleibt so, wie es war. Hier im Lokal läuft dezenter Cool Jazz über die fetten JBL-Boxen. Das verkürzt die Wartezeit ungemein.
Die Hauptspeise wird nach 20 Minuten serviert und besticht ebenfalls durch ein perfektes Arrangement auf dem Teller. Zwei rosa gebratene Streifen Herfordfilet und ein großes, ebenso rosa gegartes Stück Entenbrust zieren mit unterschiedlichen Saucen den Teller. Dazwischen schlängelt sich ein Streifen aus Knollensellerie-Püree. Die aufgeschnittenen Rauten aus dem Kartoffelgratin sind mit etwas Kümmel fein abgeschmeckt, und dafür werde ich den Küchenchef loben. Eine tolle Kreation. Der Merlot aus 2008 besticht dafür überhaupt nicht.
Anders ist das mit dem süßen Muskateller zum Dessert, der überzeugt; vor allem in der Kombination mit dem gebratenen Ziegenkäse und dem Karamelljus. Da sieht man es mal wieder: Reisen bildet und ist sehr unterhaltsam. Morgen Abend werde ich ganz bestimmt auch wieder hier essen, und vielleicht gibt es ja nochmal eine Bildungslücke, die geschlossen werden kann. Unsere Nachbarn helfen uns gerne dabei.
Tot ziens und bis bald.
Ihr LeckerSchmecker Jean Jacques